Geschichte der Juden in Göttingen von Prof. Peter Aufgebauer →hier klicken
Die Neugründung der Jüdischen Gemeinde
Die Jüdische Gemeinde Göttingen, die 1994 wieder auflebte, sieht sich in der Nachfolge der Vorkriegsgemeinde, die nach dem Ersten Weltkrieg mehr als 600 Mitglieder zählte, heute sind es weniger als 200. Sie knüpft an das deutsche Reformjudentum an, das mit Israel Jacobsen sowie der von ihm vor über 200 Jahren begründeten Schule in Seesen starke Impulse erhielt. Der dort 1810 errichtete Tempel wurde in der Pogromnacht vom November 1938 ebenso zerstört wie die während der Kaiserzeit gebaute große Synagoge in Göttingen. 1973 wurde an deren ehemaligen Standort ein Mahnmal mit den Namen der 258 deportierten und ermordeten Juden aus Stadt und Kreis Göttingen errichtet. Der letzte Gemeinde-Rabbiner war einen Monat vor den Pogromen nach Palästina ausgewandert: Hermann Ostfeld machte sich dort als Zvi Hermon einen Namen als Kriminologe und reformierte das Gefängniswesen in Israel. Zu seinen Amtsvorgängern in Göttingen zählen Dr. Benno Jacob (nach London emigriert, wo er 1945 starb), Dr. Siegfried Behrens (1942 aus Fürth deportiert und im KZ Maidanek ermordet) und Dr. Heimann Auerbach, ein Onkel von Marcel Reich-Ranicki (1939 in die USA emigriert, wo er 1957 starb). Nach dem Krieg war Göttingen Zufluchtsort von Überlebenden der Shoa und Displaced Persons. Der Kaufmann Richard Gräfenberg, der als einziger in Göttingen von nur vier Juden überlebte, weil er mit einer Christin verheiratet war, versammelte die Juden in Göttingen in seinem Wohnzimmer. Max Lilienthal, ein Versehrter des Ersten Weltkrieges, der aus Theresienstadt heimkehrte, führte die Gemeinde bis zuletzt. Beim Blick ins Vereinsregister der Stadt Göttingen, stellten die "Gründungsmitglieder" von 1994 fest, dass die Gemeinde noch formal existierte. Sie musste lediglich wiederbelebt werden, was Eva Tichauer-Moritz 1994 gelang. Zu den "Gründungsmitgliedern" von 1994 gehörte auch der Göttinger Ehrenbürger Artur Levi aus München, der die Nazizeit in England überlebt hatte und nach dem Krieg nach Göttingen beordert wurde, um beim Aufbau der Demokratie zu helfen. In den 70er und 80er Jahren war er Oberbürgermeister der Universitätsstadt. Er starb hochgeehrt 2007 und fand seine Ruhestädte auf dem Friedhof der Gemeinde.
Der Friedhof mit inzwischen fast 500 Grabstellen stammt bereits aus dem 17.Jahrhundert. Seit 2004 nutzt die Gemeinde auch wieder ein eigenes Haus und seit 2008 eine Synagoge. Mit Hilfe eines Fördervereins wurde zunächst das ehemalige Pfarrhaus der Marien Kirchengemeinde in der Angerstraße zum Jüdischen Gemeindezentrum umgebaut. Im Garten dahinter steht die aus Bodenfelde an der Weser translozierte Synagoge, die, 1825 gebaut, nach Auflösung der dortigen Gemeinde durch die Provinzregierung Hannover bereits 1937 an einen Landwirt verkauft und von diesem als Scheune genutzt worden war. Im April 2010 konnten endlich auch die beiden äußerst wertvollen Torarollen, die schwer beschädigt die Jahre des Naziterrors überstanden hatten, eingebracht werden nachdem sie in Miami (USA) gekoschert worden waren.
Die Jüdische Gemeinde Göttingen ist seit ihrer Gründung 1995 längere Zeit von Rabbiner Dr. Henry Brandt betreut worden. Zwischen 2002 und 2009 war Rabbiner drs. Edward van Voolen zuständig - und bis Ende 2017 Rabbiner Dr. Gabor Lengyel. Derzeit ist Rabbiner van Voolen wieder für die Gemeinde verantwortlich. Seit 2005 spielen auch die Rabbinatsstudenten des Abraham-Geiger-Kollegs als Praktikanten eine wichtige Rolle in dem religiösen Leben der Gemeinde.
Wir sehen uns der liberalen Tradition der Vorkriegsgemeinde verpflichtet und pflegen die Bräuche und den Ritus des liberalen Judentums. Wir sind Teil der World Union of Progressive Judaism und der European Union of Progressive Judaism. Seit seiner Gründung sind wir Mitglied des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden Niedersachsens und Mitgliedsgemeinde des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Göttingen
(in Arbeit)