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Der Jüdische Friedhof Göttingen

von Prof.Dr. Bernd Schaller

Der Jüdische Friedhof ist an der Kasseler Landstraße vor dem alten Stadtfriedhof gelegen und umfasst ein Areal von 6.019 qm mit inzwischen über 500 Gräbern. Er ist das einzige öffentlich sichtbare Zeugnis der jüdischen Stadtgeschichte Göttingens, das die Vernichtungsaktionen der NS-Zeit überstanden hat – ein Zeugnis, das die lange Geschichte jüdischen Lebens in Göttingen ebenso wie die Assimilationsbestrebungen jüdischer Bürger widerspiegelt. Das älteste Grab - das von Jakob Segal im historischen Kernstück - datiert von 1701. Eine erste Erweiterung des Friedhofs erfolgte 1876/77 im Zusammenhang mit der Einrichtung des westlich daran anschließenden kommunalen Stadtfriedhofs, und eine zweite Erweiterung wurde 1925/26 vorgenommen.

In der NS-Zeit war der Friedhof mehrfach das Ziel von Schändungen, konnte aber weiter belegt werden. Die letzten Bestattungen – sie betrafen die in den Judenhäusern kasernierten Jüdinnen und Juden, darunter einige, die sich angesichts der bevorstehenden Deportation das Leben genommen hatten - fanden 1941 und 1942 statt. 1942/43 gab es Überlegungen, das Gelände abzuräumen und dem Stadtfriedhof zuzuschlagen, doch wurde dies nicht umgesetzt. Der Friedhof hat so als einzige Einrichtung der alten Gemeinde „überlebt“, allerdings in einem stark beschädigten, verheerten und verwilderten Zustand.

Nicht alle Grabgelege und ihre Grabsteine sind unversehrt erhalten geblieben. Manche sind gänzlich verschwunden, teils durch natürlichen Zerfall bedingt, oft auch gewaltsam entfernt. Viele sind beschädigt, tragen Spuren von Schändungen, keineswegs nur auf die NS-Zeit beschränkt, mehrfach auch noch in unseren Tagen erfolgt. Nach 1945 zunächst nur gelegentlich weiter genutzt, dient der Friedhof heute wieder den seit 1990 neu entstandenen jüdischen Gemeinden als Begräbnisstätte.

Nach dem Krieg sollte es Jahre dauern, bis die Anlage und die auf ihr befindlichen Gräber einigermaßen wieder hergestellt wurden. Die kleine Gruppe der Überlebenden und Zugewanderten war weder in der Lage, dafür zu sorgen, noch war sie dafür zuständig. Wie 1943 verfügt, war die Finanzbehörde, das Göttinger Finanzamt, als Treuhänder eingesetzt.

Eine erste Maßnahme zur Wiederherstellung erfolgte Ende 1945, nachdem der Oberfinanzpräsident in Hannover dafür eine Summe von eintausend Reichsmark bewilligt hatte. Das reichte freilich nur aus, um einige Grabmale wieder aufzustellen und die Gräber der 1941/2 Bestatteten mit kleinen Pultsteinen zu versehen. Der Friedhof blieb auch in den folgenden Jahren in einem höchst bedenklichen Zustand. Die angespannte Lage ändert sich erst etwas 1957, als der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen juristisch die Eigentumsrechte über die vorhandenen jüdischen Friedhöfe erhielt und damit begann, sich um ihren Zustand und Erhalt zu kümmern.

Bestattungen selbst gab es nur selten – ein Spiegel der nur noch aus wenigen Mitgliedern bestehenden Gemeinde. Die ersten zwei erfolgten 1946, danach erst wieder 1950. Dann tauchen bekannte Namen auf: Richard Gräfenberg (1951), Helene Gräfenberg (1957); Ernst Engwicht (1966) und Max Lilienthal (1971). Die Grabstätte von Richard Gräfenberg, nach 1945 der erste Vorsitzende der Gemeinde, und seiner Frau Helene wurde deutlich getrennt außerhalb der Reihe eingerichtet. Ob aus religiösen Gründen, da Frau Gräfenberg von Geburt her keine Jüdin war, oder aus praktischen Gründen, da der Friedhof zu verwildert war, ist strittig.

Auch Artur Levi, Emil und Eugenia Adler sind hier bestattet.

Gräber für die Verstorbenen der nach 1990 aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zugewanderten jüdischen Familien füllen inzwischen das Feld und prägen sein Bild: Viele der auf ihnen errichteten Grabsteine sind mit kleinen Steinen versehen, Zeichen des Gedenkens, von Angehörigen und Freunden hingelegt. Die Sprache der Inschriften ist vorherrschend russisch. Spezifisch jüdische Elemente sind selten. Nur vereinzelt finden sich Hinweise auf die Lebensumstände der Verstorbenen vor ihrer Emigration.

Heute ist der alte Teil des Friedhofes in Besitz des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und wird von ihm gepflegt. Der neue Teil ist im Besitz der Jüdischen Gemeinde Göttingen e.V.

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